Öffentlicher Leserbrief der IRU-Lehrkräfte in Baden-Württemberg zur Darstellung der Stiftung Sunnitischer Schulrat (21. Juli 22)

Die Stiftung Sunnitischer Schulrat steht seit dem 11.7.22 unter medialem Beschuss, und damit auch der gesamte Islamische Religionsunterricht (IRU) in Baden-Württemberg. Darauf reagieren nun erstmals IRU-Lehrkräfte des Landes in einem Leserbrief und üben darin Kritik an der tendenziösen und ihrer täglichen Erfahrung widersprechenden Darstellung in mehreren Medien. Der ganze Brief kann hier als PDF heruntergeladen oder im Folgenden eingesehen werden. Dem Inhalt des anfangs von IRU-Lehrkräften am Gymnasium verfassten Leserbriefes haben sich IRU-Lehrkräfte aus allen anderen Schularten angeschlossen (70 Personen – Stand 2.8.22). Alle IRU-Gymnasiallehrkräfte aus BW haben mittlerweile unterzeichnet. Wir werden auch künftig die Unterzeichnendenliste in der Datei aktualisieren. Meine Kolleg*innen und ich bitten um Kenntnisnahme und Weiterleitung des Leserbriefes, um allen am Thema Interessierten die Möglichkeit zu geben die besagten medialen Darstellungen mit unseren Erfahrungen aus der Innenperspektive zu vergleichen und sich ein fundiertes Urteil bilden können. Es war mir eine Freude den folgenden Brief zu unterzeichnen!


Sehr geehrte Damen und Herren,

wir, die Gymnasiallehrkräfte des Faches Islamische Religionslehre in Baden-Württemberg, möchten zu einigen medial multiplizierten Behauptungen zur Situation des Islamischen Religionsunterrichts in BW Stellung nehmen (StZ und FAZ am 11.7.22). Die dortigen Aussagen schaden dem öffentlichen Ruf unseres Faches sowie seiner Lehrkräfte erheblich und sind aus unserer Sicht zu wesentlichen Teilen ungerechtfertigt.  Gleichzeitig möchten wir unsere erfahrungsbasierte Perspektive auf das Wirken der Stiftung Sunnitischer Schulrat sowie unser Selbstverständnis als Lehrkräfte des Landes Baden-Württemberg darstellen.

Behauptung 1: Die Stiftung missbrauche gegenüber den Lehrkräften ihre Macht auf autoritäre Weise.

Die Gründung der Stiftung Sunnitischer Schulrat war notwendig, um als religiöse Ansprechpartnerin unsere Arbeit verfassungsrechtlich zu legitimieren. Seither haben wir alle die Stiftung ausschließlich als unterstützende und engagierte Partnerin an unserer Seite erfahren, die einen großen Beitrag zur Integration des Faches in die Schullandschaft leistet. Nach unserer bisherigen Erfahrung orientiert sie sich an den Interessen der Lehrkräfte, der muslimischen Schülerschaft, der Schulen sowie der islamisch—sunnitischen Grundausrichtung von Muslim*innen in Deutschland, ohne spezifisch verbandsbezogene Besonderheiten an die Tagesordnung zu bringen. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass uns bislang trotz intensiver Zusammenarbeit keine sachfremde, autoritäre oder exkludierende Haltung begegnet ist.

Mit der Stiftung traten wir bisher anlässlich unserer religiösen Lehrbefugnis, unserer Lehrproben sowie der Schulleiter*innenbesuche in engen Kontakt. Die damit verbundenen Gespräche wurden von uns allen stets als fair, wertschätzend und professionell empfunden. Die Stiftung zeigte sich uns bislang an keiner Stelle als bevormundend. Es fanden keine Hinterfragungen unseres Privatlebens oder Durchleuchtungen unserer persönlichen theologischen Meinungen zu Einzelfragen jenseits der allen Muslim*innen gemeinsamen und unstrittigen Glaubensgrundlagen sowie der Selbstverortung im Islam sunnitischer Prägung statt. Der Fokus der Gespräche war in allen Fällen eindeutig religionspädagogisch, religionsdidaktisch und schulisch orientiert.

Behauptung 2: Die Stiftung bekämpfe freiheitliche Islamverständnisse.

Die Behauptung, dass die Stiftung einen Weg der autoritären Engführung innerhalb des Islams einschlagen würde, lässt sich von unserer Seite nicht bestätigen. Als islamische Religionslehrer*innen in Baden-Württemberg verstehen wir uns als gläubige, freiheitlich orientierte Muslim*innen mit progressiver Perspektive auf die islamische Religionspädagogik, die sich nicht von außen anderen ideologisch und politisch vorbelasteten Kategorien zuschreiben lassen möchten. Wir lehnen Fremdzuschreibungen wie „liberal“, „orthodox“ oder „konservativ“ über uns ab, ebenso die häufig beanspruchte Deutungshoheit Außenstehender über uns und unser Schulfach. Unser Selbstverständnis ist so vielfältig und pluralistisch wie die Muslim*innen selbst. Was uns verbindet, ist der gemeinsame Glaube sowie die gemeinsame pluralistische Lebenswirklichkeit in Deutschland mit ihren Herausforderungen an alle. Unsere Ausbildung sowie der Bildungsplan für unser Fach reflektieren diese innerislamische Vielfalt und erlauben uns die nächsten Generationen dahingehend zu bilden, dass sie mündige Bürger*innen werden, die sich mit ihrem eigenen Selbstverständnis in der Gesellschaft als Teil dieser Gesellschaft einbringen können. Sowohl in der Ausbildung an den universitären Ausbildungsstätten, als auch im Referendariat wird das gesamte Spektrum islamisch-theologischer und islamwissenschaftlicher Perspektiven aus Tradition und Gegenwart thematisiert.  Die Stiftung hat diesem offenen und progressiven Geist bislang an keiner Stelle widersprochen, und auch nie die einen von uns vor den anderen bevorzugt. Dies spricht eindeutig für eine freiheitliche Praxis der Stiftung.

Behauptung 3: Der Schulrat „repräsentiert ein rückwärtsgewandtes undemokratisches Islam-verständnis, das an staatlichen Schulen nichts zu suchen hat.“ (Susanne Schröter im Interview mit der StZ vom 11.7.22)

Als Beamt*innen des Landes vermitteln wir Bildung im Geiste des Grundgesetzes, der Landesverfassung sowie der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, so wie alle anderen Lehrkräfte in allen anderen Fächern auch. Ferner findet unser Unterricht innerhalb der innerschulischen Öffentlichkeit und in zahlreichen Kooperationen, unter anderem mit den evangelischen und katholischen Religionsfächern, statt. Die Stiftung selbst ist ebenso innerhalb dieser demokratischen Strukturen entstanden und steht im vollen Licht der medialen und staatlichen Öffentlichkeit. Allein schon deshalb würde sie mit einer undemokratischen Grundhaltung an etlichen Stellen für Unmut sorgen, insbesondere bei IRU-Lehrkräften. Aber dergleichen ist uns in unserer eigenen Arbeit bislang nie begegnet.

Behauptung 4: Die Stiftung „wird von zwei Verbänden getragen, die aber nach Auskunft von Islamexperten nur sieben Prozent der Muslime im Land repräsentieren.“ (Susanne Schröter, zitiert in der StZ vom 11.7.22)

Dass sich zwei sunnitische Religionsgemeinschaften auf einen Weg verständigt haben, hat insbesondere eines getan, nämlich den Fortbestand des IRU in Baden-Württemberg gesichert. Dieser Weg tut unserem Selbstverständnis sowie unserer Arbeit als Religionslehrer*innen in keinster Weise Abbruch. Dass auch die Mehrheit der jetzigen islamischen Religionslehrer*innen keiner dieser Religionsgemeinschaften angehört, und es von Seiten der Stiftung auch gar nicht muss, beweist zum einen, dass von der Stiftung eine offene und pluralistische Grundhaltung ausgeht. Zum anderen beweist es auch, dass wir als Religionslehrer*innen die Rechtmäßigkeit der Stiftung anerkennen. Die IRU-Lehrkräfte und die Stiftung stehen heute für ein mühsam erarbeitetes Schulfach, das ein sehr breites Spektrum an Muslim*innen anspricht und selbstverständlich weit über die beiden Verbände hinausgeht. Und allein darauf kommt es muslimischen Schüler*innen und ihren Familien letztlich an.

Unterzeichnende IRU-Lehrkräfte

(Die Namensliste befindet sich in der PDF-Version des Briefes hier)

Schreibe einen Kommentar