Zum 75. Geburtstag des theoretischen Physikers Günter Wunner

Am 16. März 2024 war ich zur Feier des 75. Geburtstages von Prof. Dr. Wunner im Ökumenischen Zentrum der Uni Vaihingen eingeladen. Es war für mich, der ich Professor Wunner zuletzt im Jahr 2007 gesehen hatte, ein rührender und schöner Abend. Eingeladen waren aktuelle und ehemalige Studierende von Prof. Wunner, also Diplomanden und Doktoranden.

Ich hatte bei dem sehr wertschätzenden Menschen und theoretischen Physiker, der lange das erste Institut für Theoretische Physik an der Uni Stuttgart leitete, mehrere Lehrveranstaltungen belegt. Vor allem von seiner Astrophysik- und Kosmologievorlesung, die zugleich mein Einstieg in die Allgemeine Relativitätstheorie war, habe ich sehr viel mitgenommen.

Hakan Turan mit Prof. Dr. Günter Wunner (eigenes Foto)

Ein besonders wertvoller Beitrag zu meiner eigenen Entwicklung war, dass er mir, als jemandem, der mit den auf Festkörperphysik fokussierten Forschungsschwerpunkten der Uni Stuttgart nicht viel anfangen konnte, eine externe Diplomarbeit an der Uni Tübingen in Quantenfeldtheorie/Quantenchromodyanmik vermittelte. Damit wurde das Ende meines Studiums zum eigentlichen Anfang meiner Beschäftigung mit meinem Herzensthema in der theoretischen Physik bis heute, also mit den quantisierten Eichtheorien zu den fundamentalen Wechselwirkungen. Also mit allem, was um die Idee der Einheit der Natur, oder gar einer Weltformel kreist. Ich kann die Bedeutung dieser ganz und gar nicht selbstverständlichen Unterstützung durch Prof. Wunner zu Gunsten meiner Interessen, die an meiner Uni nicht erfüllbar waren, für meine eigene Biografie gar nicht hoch genug schätzen.

Und so trafen wir uns fast nach zwei Jahrzehnten wieder, saßen an einem Tisch und ich staunte darüber, wie genau er sich noch an die Umstände meiner Diplomarbeit erinnern konnte. Ebenso staunte ich darüber, dass er sich aktuell die Mühe machte sein mit zwei Kollegen verfasstes umfangreiches Lehrwerk zur Speziellen und Allgemeinen Relativitätstheorie in mühsamer Kleinstarbeit ins Englische zu übersetzen. Die Zeit Vorlesungen zu halten scheint aber vorbei zu sein: 25 Jahre lang hat er seine Astrophysik-Vorlesung an der Uni Stuttgart gehalten. In einem Jahrgang durfte ich dabei sein.

Aber der Experte für Raum und Zeit hatte mir von seinem eigenen Koordinatensystem aus auch noch ein paar andere Dinge zu erzählen, die mich immer noch beschäftigen. Als ich ihn fragte, wie das Leben mit 75 so ist, meinte er, dass man spürt, wie die „Einschläge immer näher kommen“ – alte Jahrgangstreffen seien nur noch sinnvoll möglich, wenn man mehrere Jahrgänge zusammenlegt, da schon viele gestorben sind. Es sei manchmal erschütternd festzustellen, „dass die Zeiträume, auf die man zurückblickt, immer länger und länger werden“. Er konnte mir noch vom Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei berichten. Das war 1968. Wir redeten auch viel über Kontinuitäten im Leben, und das seltene Privileg sich durchgehend in Kontinuität zur eigenen Biografie sehen zu können. So kamen wir zur Frage, welche Erfahrungen das Kontinuum fundamental brechen. Er meinte: Zum Beispiel der Verlust des Lebenspartners. Prof. Wunner liebt seine Kinder und Enkel. Ich habe mich nicht getraut zu fragen, wie es seiner Frau geht. Jetzt bereue ich es nicht gefragt zu haben.

Besonders eindrücklich fand ich seine Feststellung, dass man als Elternteil eines niemals vergessen dürfe: Kinder sind eigenständige Individuen, die sich völlig vom Selbstbild der Eltern unterscheiden können. Spätestens ab der Pubertät würde man dies merken. Jeder ist anders. Jeder wird anders. Und das ist in Ordnung so.

Er als Doktorvater von viele Physikerinnen und Physikern wird hier vielleicht auch seine akademischen „Kinder“ im Sinn haben, wenn er so etwas sagt. Im Saal befanden sich im Übrigen auch ganz kleine Kinder. Von einem sagte er mit gewissem Stolz „Er nennt mich seinen Doktor-Großvater“.

Zum Geburtstag war ich so frei und schenkte ihm den aktuellen Band „Islamische Philosophie – Islamopäische Philosophie“ mit meinem Beitrag zur Metaphysik des Averroes und der Suche nach der Weltformel. Physiker lieben Fragen nach dem großen Ganzen. Nicht alle Physiker lieben aber Philosophie oder gar Theologie beim Nachdenken über die Welt. Wie Prof. Wunner dazu steht, weiß ich nicht. Er sagte jedenfalls „Natürlich werde ich das gerne lesen. Ich will ja wissen, was meine Leute aus sich gemacht haben.“ Nun, es würde mich schon etwas mit Stolz erfüllen, wenn er meinen Text interessiert liest. Immerhin geht es darin auch um Physik, Raum und Zeit und die Naturgesetze. Dinge, die ich bei ihm studiert habe.

Ich bin sehr dankbar für den Abend, und dafür, dass mich Herr Wunner mithilfe der freundlichen und engagierten Institutssekretärin im Internet gefunden und eingeladen hat.

Ich wünsche Ihnen gesunde und gesegnete Jahre, lieber Herr Wunner!