Der Ramadan steht unmittelbar vor der Tür. Er ist der Fastenmonat der Muslime. Dieser Monat, der mit dem Erscheinen der Mondsichel in der übernächsten Woche beginnt, ist zugleich die Zeit, in der der Prophet Muhammad im Alter von 40 Jahren sein erstes Offenbarungserlebnis hatte. Im Alltag der Muslime ist er ein Zeitraum hingabevoller Koranrezitationen, gesteigerter Spiritualität und Gemeinschaftlichkeit. Das familiäre Zusammensein zum Frühmahl vor der Morgendämmerung gehört ebenso zu den prägenden Momenten des Ramadan wie das allmähliche Zusammenkommen mit Familie und Freunden am Abend zum täglichen Fastenbrechen.
Ich selbst habe als Jugendlicher meine ersten Ramadanerfahrungen zu einer Zeit gemacht, in der noch während der Weihnachtsferien im Winter gefastet wurde. Der Ramadan im Winter – das lag am Mondkalender, dem der Fastenmonat folgt. Manchmal blieb ich die ganze Nacht hindurch wach bis zum Frühmahl, studierte Astronomiebücher, sinnierte über den Koran oder komponierte auf meiner Gitarre Melodien zu Ehren der Nacht. Dann genoss ich wieder die Stille, die draußen lag, wo viel Schnee in dieser Zeit fiel.
Der Himmel war dadurch derart aufgehellt und leicht rötlich schimmernd, dass ich mich gerne nach Mitternacht hinaus schlich und lange in diese helle Welt sah, die der Ramadan mir nachts bescherte. Kein Mensch war weit und breit zu sehen und doch verbarg sich überall eine hellwache und merkwürdige Präsenz, in die ich mich allnächtlich fallen ließ.
In Sure 97 des Korans heißt es sinngemäß zur Nachtwelt des Ramadan:
„Die Engel und der Geist steigen in dieser Nacht mit der Erlaubnis ihres Herren auf die Erde herab; auf ihr herrscht Friede bis zum Anbruch der Morgendämmerung“.
Ich glaube, das war es, was ich in diesen Winternächten zu erhaschen suchte: Die Aufhebung der Grenze zwischen oben und unten.
Heute fällt der Ramadan in die Jahreszeit der langen Tage, was ich mir damals nicht vorstellen konnte. Er kann nun als Fastenmonat auch eine Zeit der bis zur Erschöpfung führenden Anstrengung sein – zumal und unsere Gesellschaft sich selten für die Fastenden umstellt. Muslime, die fasten, stehen vor der Herausforderung gleichzeitig den Anforderungen ihrer beruflichen und schulischen Umwelt gerecht zu werden.
Es ist klar, dass dies Verantwortung bedeutet – und dass es zu dieser Verantwortung auch gehört nicht zu fasten, wenn dadurch die Gesundheit leidet, oder man der beruflich übernommenen Verantwortung nicht mehr gerecht wird. Wann diese Grenze erreicht ist, sollte der Fastende selbst entscheiden ohne seinen Mitmenschen gegenüber sein Fasten oder Nichtfasten rechtfertigen zu müssen.
Was ich heute besonders bedauere ist, dass die besonderen Nächte von damals so selten geworden sind. Zu erbarmungslos sind die weltlichen Verstrickungen, zu kurz die Momente des Innehaltens. Die Nächte leuchten nicht mehr so hell wie damals und wirken auf mich nicht mehr so still und erfüllt von der Präsenz von damals.
Dennoch begeistert mich der Gedanke in einer der Ramadannächte das Unfassbare doch zu erhaschen.
In diesem Sinne: Willkommen, lieber Ramadan!
(Mein Beitrag in „Islam in Deutschland“ auf SWR Aktuell vom Freitag, 4. Mai 2018)