Dies ist mein kleiner Beitrag zum Gedenken an den türkisch-albanischen Dichter, Denker und Islamgelehrten Mehmet Akif Ersoy (gest. 1936), dem die damals junge türkische Republik nicht nur ihre Unabhängigkeitshymne verdankt, sondern auch ein umfangreiches Werk in Gedichtform, in der sich Ersoy den großen Krisen der damaligen islamischen Welt stellt, allen voran Bildungs-, Glaubens- und Gerechtigkeitsfragen. Seinem Werk „Safahat“, das mich seit meiner Jugend begleitet und inspiriert, habe ich folgendes berühmte Gedicht „Kocakarı ve Ömer“ (Die alte Frau und Umar) entnommen und Teile davon aus dem Neu-Osmanischen ins Deutsche übersetzt.
Ich wünschte, dass sich die Musliminnen und Muslime der Gegenwart, vor allem diejenigen, die gesellschaftliche oder gar politische Verantwortung tragen oder tragen wollen, dergleichen an ihre Wand hängen und sich morgens und abends daran messen.
Meine Übersetzung erfolgt unter Verlust der Reimform und ohne jede literarische Gewähr – in jedem Fall kann ich aber sagen, dass ich mich redlichst bemüht habe.
In dem Gedicht veranschaulicht der Dichter Ersoy in Gestalt einer Geschichte sein islamisch geprägtes Verständnis von Gerechtigkeit und Verantwortung und regt dabei auch zum Nachdenken über die Grenzen des Menschenmöglichen an. Dazu wählt er Umar, den zweiten Kalifen des Islams, als Hauptakteur. Zahlreiche Passagen und Motive des Gedichtes beruhen auf historischen Überlieferungen zu Umar, die von Ersoy dichterisch ausgestaltet und zu einer Geschichte verwoben wurden. (Ich habe die Überlieferungen kürzlich gefunden in: Şibli Numani/Talip Yaşar Alp (Übers. ins Tr.): Bütün yönleriyle Hz. Ömer ve Devlet İdaresi. Çağ yayınları: Istanbul (Jahr unbekannt), S. 278 ff.)
Erzählt wird, wie der Kalif Umar ibn al-Chattab und sein Begleiter Abbas eines Nachts Zeugen werden, wie in einem Zelt am Rande der Stadt eine alte Frau verzweifelt versucht ihre verwaisten und hungernden Enkel zu sättigen. Die Frau erkennt Umar nicht und äußert offen ihren Zorn auf den Kalifen, dem sie vorwirft sich nicht für das Leid der Armen zu interessieren. Umar ist sehr betroffen und verspricht ihr zu helfen, ohne ihr seine wahre Identität zu verraten. Zusammen mit Abbas bricht er nun auf um aus der Kornkammer Nahrung zu holen. Der Fortgang der Geschichte, von dem ich einen kurzen Teil präsentiere und die aus der Sicht von Abbas erzählt wird, lautet wie folgt (ab hier in meiner Übersetzung):
„Umar sagte: „Dieser Sack Mehl dort, lade ihn mir auf den Rücken. Und dieser Krug voll Öl, den kannst du tragen.“
So kamen wir aus der Kornkammer, der Sack auf dem Rücken des Kalifen und das Öl bei mir.
Wir schlossen ab und gingen unseren Weg zurück.
Aber ich sah: Die Strecke war lang und die Last schwer; und Umar war verletzt.
So sagte ich: „Gib mir den Sack, dass ich ihn trage.“
Umar antwortete: „Nein, hilf mir bloß nicht, selbst wenn ich dabei umkomme.
Denn Ibn al-Chattab trägt die volle Verantwortung.
Hast du nicht gehört, was die Frau eben gesagt, o Abbas?
Im Jenseits, im Angesicht Gottes, wird auch keiner Umars Last teilen, auch wenn er es hier täte.
Ach hätte er sich doch nur nicht zum Kalifen ernennen lassen!
Wenn ein Wolf am Ufer des Tigris ein Schaf raubt,dann stellt die göttliche Gerechtigkeit Umar zur Rede!
Eine alte Frau hat keinen Helfer mehr – Umar ist verantwortlich!
Ein Waisenkind weint Tränen der Enttäuschung – Umar ist verantwortlich!
Und wenn ein verarmtes Haus wegen fehlender Hilfe in sich zusammenstürzt, dann wird Umar darunter begraben, und sonst keiner.
Wenn jemand aus Missgunst einen Tropfen Blut vergießt,
dann wird daraus ein Strudel und ertränkt Umar!
Die Herzen berichten, dass sie beleidigt mit Umar sind.
Umar ist nicht erwünscht im Umfeld der Klagenden.
Wer trägt hier Verantwortung, außer dem Kalifen Umar?
Oh Gott, was soll Umar tun? Der Mensch ist ungerecht und unwissend.
Von Umar erwarten sie nun das, was einst von Muhammad erwartet wurde.
Umar! Umar! Wie konntest du dir nur diese Last aufbürden?“
Ich antwortete: „Wenn nicht du diese Last auf dich genommen hättest,
wer hätte sie besser ertragen in diesem Tumult?
Und ja: Wenn du dir absolute Gerechtigkeit zum Ziel setzt,
dann wäre nicht nur Umar, sondern ein jeder verloren.
Wenn der Mensch sich absolute Gerechtigkeit vornimmt,
dann muss er stets zum Zeugen werden, wie er daran scheitert.
Du, o Umar, bist weder ein Engel, noch ein ungerechter Führer.
Was kannst du jetzt noch tun?
Der Mensch ist von Natur aus verletzlich.
Alle Sterne des Nachthimmels sind Zeugen,
wie Umar in der Dunkelheit unter dieser Last ächzt.
Wenn du eines Tages in deinem mehligen Gewand vor Gott trittst,
dann wird nicht nur die Erde, sondern auch der Himmel Zeuge deiner Tat sein!“
Würden wir Muslime Hr. Ömer auch nur zu 1% als Vobild nehmen, würde sich die Welt zu 100% ins positive Verändern.