Mein tiefstes Beileid gilt den Angehörigen der fast 100 Opfer des aktuell noch namenlosen Terrors mitten in Ankara, der Hauptstadt der Türkei. Es ist der bislang größte Terroranschlag in der Geschichte der türkischen Republik.

Es ist etwas Böses und Neuartiges in die Türkei gedrungen – dieses etwas trägt entgegen den zahllosen vorlauten Hetzern weder die Handschrift der PKK, noch der AKP-Regierung.

Es ist an der Zeit die innertürkischen Spannungen beiseite zu legen und die gesellschaftlichen Kluften gegen diese neue Bedrohung so weit wie möglich zu schließen.

Nicht nur in der Türkei, sondern auch hier in Deutschland.

Das hat aktuell und auch für die absehbare Zukunft aus meiner Sicht oberste Priorität, lange vor der Frage, wer formal regiert.

Liebe Türkeiverbunde,

lasst uns endlich den blinden Hass aufeinander beiseite legen und an einer Welt arbeiten, die wir unseren Kindern guten Gewissens zumuten können.

Das schließt neben vielem anderen auch die Arbeit an einer stabilen und gut funktionierenden Türkei, sowie einen innertürkischen Dialog ein, von dem wir heute leider weiter denn je entfernt sind.

Sucht bitte nicht mehr nach dem Verantwortlichen für das aktuelle Chaos, nachdem fast alle beteiligten Gruppen bis in den Hals in Mitverantwortung für das Chaos versunken sind.

Sucht nach praktikablen Lösungen – das ist aussichtsreicher und dringender.

Türkisch- und Kurdischstämmige, Religiöse und Säkulare, Sunniten und Aleviten, sowie Muslime, Christen, Juden und alle anderen, die irgendwie Wurzeln in der Türkei haben – lasst uns diesem Spuk ein Ende bereiten, indem wir selbst zu Bollwerken gegen den brodelnden Hass werden.

Lasst uns wirken in unseren eigenen Communities, auf dass niemand mehr guten Gewissens im Hass auf den anderen wachsen kann. Lasst uns Entschlossenheit und Hoffnung verbreiten, wo immer mehr um uns herum resigniert den großen Endknall abwarten.

Die Phase großer gesellschaftlicher Kooperation in der Türkei ist nicht vorbei – sie hat noch nicht einmal richtig begonnen. Erst wenn alle ihren Alleinherrschaftsanspruch aufgegeben haben, wird sich das wahre Friedens- und Zivilisationspotenzial, das unter der Decke aus Streit und Kampf schlummert, entfalten können.

Aber in diesem Wettstreit der abstrakten Kräfte muss sich jeder innerhalb seiner Community auf die richtige Seite schlagen.

Entweder die Türkei rettet sich mit ihrer widersprüchlichen inneren Vielfalt an breites Land, wo für jeden Raum ist – oder sie geht unter der Last nicht ausgeglichener Kräfte kläglichst unter.

Es wird nicht einen Sieger geben.

Entweder siegen alle gemeinsam, oder sie scheitern gemeinsam.

Eine andere Option sehe ich nicht.

Wir müssen, wenn die Provokationen noch zunehmen und das dunkle Potenzial aus blinder Gruppenloyalität, aus Allmachtsfantasien und aus der Lust an der Totalität physische Gestalt annimmt, innerlich gut vorbereitet sein, um uns nicht zum Komplizen der eigenhändigen Selbstzerstörung zu machen.

Hier heißt es eben nicht menschlich nachvollziehbar zu handeln – also nicht in Hoffnungslosigkeit und in noch mehr Hass auf die anderen zu versinken.

Hier heißt es auf Vernunft und Gewissen zu hören und selbst im scheinbar absurdesten Moment sich zum Anwalt auch seines Gegners zu machen – dann nämlich, wenn die Verzweiflung groß genug ist, dass die Ausweglosigkeit und Absurdität der türkischen Ideologien für jeden klar sichtbar ist.

Aktuell ist so ein Moment erreicht. Die Türkei befindet sich an einem Wendepunkt. Eben jetzt ist es an der Zeit sich nicht einfach “menschlich nachvollziehbar” den vermeintlich naheliegendsten Schuldigen zu suchen um diesen zu strafen, sondern gerade jetzt alle Kraft darin zu investieren, dass die neue Bedrohung uns nicht gänzlich von innen her aufsprengt.

Dazu müssen wir nicht alle erst einander mögen, sondern lediglich akzeptieren, dass unser Gegenüber genauso wenig von der politischen Bildfläche verschwinden wird wie wir selbst, da er die gleiche Legitimität als Mensch und Vertreter politischer Perspektiven besitzt wie wir.

Keinen nationalen Zwangskonsens in allen politischen und ideologischen Fragen, sondern den vernünftigen Kompromiss für den Fortbestand und die Entwicklung der türkischen Gesellschaft brauchen wir.

Grundstein des Kompromisses muss sein, dass niemandes Grundrechte und Legitimität als soziales und politisches Wesen für etwas anderes verrechenbar ist – und sei dieses andere das selbst ernannte Gemeinwohl, eine Mehrheitsmeinung, oder ein unschuldig daherkommender Aufstand gegen den Staat, der letztlich nur die ersatzlose Destruktion oder etwas noch Autoritäreres als den aktuellen türkischen Staat anstrebt.

Es gibt nur diese eine Türkei, die wir alle Türkeiverbundenen und Türkischstämmigen so lieben.

Und es gibt nur diese eine Welt, die aktuell unter unseren Händen auszubluten und auszuhungern droht.

Lasst uns Partei ergreifen gegen die Tötung dieser Welt…