Zum Geburtstag des Propheten: Ein "Mevlid" von Goethe
am Sonntag, 13 Februar 2011. Geschrieben in Denker, Inspirationen, Islamisches Leben
Kandiliniz mübârek olsun - eine gesegnte Lichternacht... Die islamische Frömmigkeit gedenkt vielerorts in der heutigen Nacht (23. Jan. 2013) des Geburtstages des Propheten Mohammed. Ich habe das zum Anlass genommen folgenden älteren Text oben einzustellen...
Im Folgenden präsentiere ich euch eine meiner Lieblings-Neuentdeckungen der letzten Monate, nämlich ein Gedicht von Goethe, das vom Propheten Mohammed handelt und mich immer wieder überwältigt. Denn es drückt etwas über den Propheten aus, was auch ich empfinde, aber wofür ich ehrlich gesagt nicht die passenden Worte finde.
Zum Hintergrund: Goethe arbeitete in seinem 23. Lebensjahr an einer Tragödie, in der der Prophet Mohammed die Hauptrolle spielen sollte. Dieses Werk wurde nicht vollendet, jedoch sind einige Fragmente davon erhalten. Über diese schreibt Katharina Mommsen: "Schon bezüglich dieser Fragmente ist jedoch zu sagen, dass sie die bedeutsamste Huldigung darstellen, die jemals ein Dichter in Deutschland dem Begründer des Islam dargebracht hat." (Goethe und der Islam, S. 48). Damit ist insbesondere das Preislied "Mahomets Gesang" gemeint.
In dessen ursprünglicher Version wechseln sich der Vetter des Propheten und seine Tochter, Ali und Fatima, als Sprecher ab. Der Inhalt ist eine Preisung des Propheten, der symbolisch als eine Felsenquelle beschrieben wird, die sich nach Gott, versinnbildlicht durch einen Ozean, zurücksehnt und auf dem Weg dorthin seine Brüder mitnehmen möchte und dabei erfolgreich ist.
In der späteren Fassung ließ Goethe den Bezug zum ursprünglichen Handlungsrahmen in der Tragödie weg und das Gedicht stand nur noch für sich da, ohne Sprecher (vgl. z. B. die Weltbild-Ausgabe von Goethes gesammelten Werken, Bd. 1, S. 218). Was übrig geblieben ist, ist ein durch und durch europäischer Lobgesang für den Propheten, gedichtet von einem Nichtmuslim, der es verstand sich über die Kulturgrenzen hinweg in islamisches Denken und Fühlen hineinzuversetzen.
Der heutige Montag ist in der islamischen Hedschra-Zeitrechnung der 11. Tag des Monats Rabî' al-Awwalim Jahre 1432 nach der Hedschra. Nach der islamischen Überlieferung ist dies der Geburtstag des Propheten Mohammed. Auch wenn dieser Tag keiner der zentralen Feiertage der Muslime ist, hat er in großen Teilen der islamischen Welt doch einen wichtigen Platz in der Volksfrömmigkeit eingenommen.
Im Türkischen nennt man religiöse Lobgesänge zu Ehren des Propheten mevlid, was eine Anspielung auf das arabische mavlid an-nabî (Geburt des Propheten) ist. Der Geburtstag des Propheten wird im Türkischen als mevlid kandili bezeichnet, was ungefähr "Leuchtnacht der Geburt" bedeutet. Im eigentlichen Sinne bedeutet das Wort kandilÖllampe. Im Türkischen hat es die zusätzliche Bedeutung von "gesegnete Nacht" (türkisch:mübarek gece) erhalten.
Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Islam keine Feierlichkeit zum Geburtstag des Propheten vorschreibt oder empfiehlt. Dies hat nicht verhindert, dass fromme Muslime aus seinem Geburtstag unter dem Einfluss des Sufismus einen Abend der Besinnung in Form von Koranrezitationen, Gebetszeremonien und Segnungsgesängen für den Propheten gemacht haben. Wie könnte man es den Menschen auch verkennen, wenn sie den Geburtstag desjenigen Mannes feiern wollen, der für sie den größten Sinnstifter darstellt?
Ich hatte schon einmal zum Ausdruck gebracht, dass ich es nicht für richtig halte Goethe gegen seinen Willen für oder gegen den Islam zu vereinnahmen. Auch habe ich begründet, warum ich es nicht für nicht zutreffend halte Goethes Nähe zum Islam als Bekenntnis zum Islam im Sinne einer formalen Religionszugehörigkeit zu verstehen.
Jedoch empfinde ich seine mehrfachen Würdigungen des Islams und sein noch Jahrzehnte später artikuliertes Bekenntnis, dass er den Propheten "nie als einen Betrüger hatte ansehe können" (Dichtung und Wahrheit, 14. Buch, 3. Teil; Reclam, S. 676) als derart einladend, dass ich hier so frei bin und das Preislied von Goethe im Sinne einesMevlid-Gesangs verstehen und es unkommentiert dem Propheten widmen will. Ob der Dichter damit einverstanden gewesen wäre? Und erst recht der Prophet? Ich weiß es nicht - aber ich würde es glauben.
In jedem Fall verneige ich mich posthum vor dem Dichter für seine inspirierenden Zeilen, wünsche allen Leserinnen und Lesern eine gesegnete Mevlid-Nacht und schließe ab mit:
Segen und Frieden sei mit Mohammed, seiner Familie und seinen Gefährten...
Johann Wolfang von Goethe: Mahomets-Gesang
Seht den Felsenquell,
Freudehell,
Wie ein Sternenblick;
Über Wolken
Nährten seine Jugend
Gute Geister
Zwischen Klippen im Gebüsch.
Jünglingfrisch
Tanzt er aus der Wolke
Auf die Marmorfelsen nieder,
Jauchzet wieder
Nach dem Himmel.
Durch die Gipfelgänge
Jagt er bunten Kieseln nach,
Und mit frühem Führertritt
Reißt er seine Bruderquellen
Mit sich fort.
Drunten werden in dem Tal
Unter seinem Fußtritt Blumen,
Und die Wiese
Lebt von seinem Hauch.
Doch ihn hält kein Schattental,
Keine Blumen,
Die ihm seine Knie umschlingen,
Ihm mit Liebesaugen schmeicheln:
Nach der Ebne dringt sein Lauf
Schlangenwandelnd.
Bäche schmiegen
Sich gesellig an. Nun tritt er
In die Ebne silberprangend,
Und die Ebne prangt mit ihm,
Und die Flüsse von der Ebne
Und die Bäche von den Bergen
Jauchzen ihm und rufen: "Bruder!
Bruder, nimm die Brüder mit,
Mit zu deinem alten Vater,
Zu dem ew'gen Ozean,
Der mit ausgespannten Armen
Unser wartet,
Die sich, ach! vergebens öffnen,
Seine Sehnenden zu fassen;
Denn uns frißt in öder Wüste
Gier'ger Sand; die Sonne droben
Saugt an unserm Blut; ein Hügel
Hemmet uns zum Teiche! Bruder,
Nimm die Brüder von der Ebne,
Nimm die Brüder von den Bergen
Mit, zu deinem Vater mit!"
"Kommt ihr alle!"
Und nun schwillt er
Herrlicher; ein ganz Geschlechte
Trägt den Fürsten hoch empor!
Und im rollenden Triumphe
Gibt er Ländern Namen, Städte
Werden unter seinem Fuß.
Unaufhaltsam rauscht er weiter,
Läßt der Türme Flammengipfel,
Marmorhäuser, eine Schöpfung
Seiner Fülle, hinter sich.
Zedernhäuser trägt der Atlas
Auf den Riesenschultern: sausend
Wehen über seinem Haupte
Tausend Flaggen durch die Lüfte,
Zeugen seiner Herrlichkeit.
Und so trägt er seine Brüder,
Seine Schätze, seine Kinder
Dem erwartenden Erzeuger
Freudebrausend an das Herz.
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