Intermezzo: Bumm - Leben - Bumm - Tod
am Montag, 27 August 2012. Geschrieben in Geisterstunde
Deutsche, Türken, Christen, Muslime... Friedrich, Şahin, PKK, NSU... Gülen, Spiegel, Ängste, Verschwörungstheorien… Israel, Syrien, Iran und der immer wieder beschworene Untergang des gesamten Abend- und Morgendlands – ich habe gerade echt keinen Lust auf diese anstrengenden Themen und möchte hier als Intermezzo vor meinen durch endlos lange Texte gehörig leidgeprüfte Leserinnen und Lesern (es sind laut Statistikprogramm mittlerweile angeblich 700-800 unabhängige Besucher am Tag – ich danke euch!) über etwas viel Angenehmeres und der Logik möglicherweise Zugänglicheres als über die Stimmungen und Verstimmungen anonymer Massen monologisieren, nämlich nicht über den Untergang, sondern über den Anfang aller Dinge, also die Enstehung des Universums, und über eine der wenigen Dinge, die Islamkritikern und frommen Muslimen, Fethullah Gülen und Ilhan Cihaner, mir und einem Fußball gemeinsam sind, nämlich über die Materie, die in uns allen steckt, die vor Milliarden von Jahren mithilfe von Neutrinodruckwellen (von wegen Neutrinos taugen nichts) aus dem Inneren ausgebrannter Sterne in gleißend hellen Supernovae in den interstellaren Raum des Orionarms unserer Galaxis (="Samanyolu") gepustet wurde.
Lauter kleine Knälle in den endlosen Weiten der kosmischen Umgebung unserer heutigen Sonne: Bumm! Bumm! Und nochmals Bumm (ja, ich weiß, dass es im Weltall keinen Schall gibt, aber sei heute nicht so streng mit mir)! Lauter Wolken neu fusionierter Elemente: Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Eisen – eigentlich alles, was es im Periodensystem der Elemente jenseits von Wasserstoff und Helium gibt und was für die Ausbilung fester Planeten und langkettiger Moleküle wie die DNA notwendig ist (Waas? Ihr kennt das Periodensystem nicht auswendig?). Ganz zu Beginn gab es im Kosmos nur die letzteren beiden Gase (na, welche waren das noch mal?). Aber dann kamen die ersten Sternengenerationen, glühten unter Kernfusion von Innen auf und erwachten zu stellarem Leben. Manche, die schwer genug waren, endeten nach langer Zeit in diesen Wahnsinnsereignissen names Supernovae, denen man nicht zu nah kommen sollte. Sonst BUMMMM! Lauter Abfallwolken schwebten im Universum umher, frisch augebrütetes Material, aus dem später unser Sonnensystem, das Leben und all die komischen Kauze um uns herum entstehen sollten. BUMMMM! Kein Titan hätte das überlebt – aber es war der kernphysikalische Anfang der Geschichte unseres Lebens überhaupt.
Das ist eure Materie: geschmiedet im Verlaufe von Milliarden von Jahren in den Herzen gigantischer Feuerbälle, ausgespien in ihrem erschütternden Todesschrei, in Millionen Jahren kondensiert zu unscheinbaren und Lichtjahre großen Wolken, schwanger mit neuen Sternen und dem Keim von Leben – Wolken, die dank innerer Gravitation in sich hineinzuregnen begannen und kosmische Pfützen in Form von neuen Sonnensystemen hinterließen. 4,5 Millarden Jahre soll es her sein, als unser Sonnensytem – ein zunächst höchst unwirtlicher Ort – hervortrat aus dem Rest jener kosmischen Sternenexplosionen.
Und nun seht, was wir daraus gemacht haben: BUMMM! Ein weiteres Kind, wie du und ich es waren, stirbt elend im Würgegriff immer effizienterer Mordschlingen. BUMMM! Die ganze Intelligenz der Menschheit gebündelt im Projekt Menschenleben auszulöschen, und sie davor nochmals gehörig leiden zu lassen, damit ja keiner an uns zweifelt. BUMMM! Eşek kadar herifler! Konferieren mit dem Teufel und furzen Vernichtungspläne aus. BUMMM! It oğlu itler! Flehen, heulen, ja winseln um die totale Eskalation. Die Welt muss endlich geordnet werden, doch dazu muss sie erst auf den Scheiterhaufen. BUMMM! Herdentriebe, Steinzeitgene, Mordwahn – all die Ethik, all die Moral, all die Religion, alles wertlos, wenn keiner aufsteht und NEIN sagt zum Wahnsinn. NEIN zum Hass. NEIN zur Herrschaft mordender, studierter Vollidioten.
Eine Supernova hätte die Macht gehabt unseren ganzen Planeten im Nu auszulöschen, doch seht: Sie und ihre Schwestern webten mit kosmischer Geduld das Geburtszelt unseres Sonnensystems. Seht in das zerfurchte Antlitz dieses Lebens, das nun zwischen uns, das in uns zugrunde geht.
Und jede Nacht, wenn wir an den Himmel schauen, dann wisse: Dort kommen wir ursprünglich her – und schlachten uns heute gegenseitig ab, Brudermorde, wohin das Auge reicht. Die Ideologie des aufgeklärten und fachkompetenten homo oeconomicus: Fressen bis zum Kotzen, zwischendurch Moral rülpsen und anschließend wieder Fressen. Nein, nicht die da - WIR sind der homo oeconomicus. Jeden Tag, sklavisch unseren Trieben und Moden ausgesetzt. Ach wir würden ja so gerne, ach wir täten ja so gerne – das sagt mein alçak nefs auch jeden Tag, und ich würde ihm so gerne glauben. Aber nein, wen soll ich belügen?
Wir machen uns zum Komplizen einer düsteren Welt und es ist uns scheißegal in einem geradezu kosmischen Ausmaß – wir sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Und eben dies in unserer Eitelkeit nicht wahrhaben zu wollen ist seine Überlebensgarantie. Wir füttern den Dämon, der in einer Zeit des Wohlstandes, der Medizin und der CERN-Teilchenbeschleuniger über eine Milliarde Menschen bereitwillig dem Elend und dem Tod überantwortet. Und dieser Dämon sät den Keim von noch mehr Hass und Leid.
Morde, die unsere Besten nicht begehen würden, wenn sie nicht auf den erwachsenen, mit einer Krawatte geschmückten Mann da drüben, sondern auf das kleine, weinende Kind hier zu unseren Füßen gehört hätten... Eine Stimme, zu leise für den kotzenden Mob, zu irrational für den diplomierten Irrsinn, zu wertlos für die Jahresbilanz und zu schwach für die optimierte Eisenfaust...
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Kommentare (9)
"...wenn keiner aufsteht und NEIN sagt zum Wahnsinn. NEIN zum Hass. NEIN zur Herrschaft mordender, studierter Vollidioten."
Die Lösung steht da - klar, deutlich und verständlich. Doch ist sie so 'transparent', dass sich wieder einmal KEINER wagen wird, sich angesprochen zu fühlen und konsequenterweise dieser Lösungsansatz auch KEINEM aus der Seele sprechen wird, solange man als treuer Gefangener des Diesseits figuriert...
Die Zwischensumme? Alles in Ordnung! - getreu dem Motto: Tavşan dağa küsmüş de dağın haberi olmamış...
Zu diesem Thema eine sehr gute Recherche:
http://www.jungewelt.de/2012/08-28/011.php
http://www.jungewelt.de/2012/08-29/025.php
Die vor Jahren zurückliegende Erkenntnis, dass wir Menschen und das Leben i. Allg. ihre Existenz längst erloschener Sonnen zu verdanken haben, hat mich eine Ehrfurcht gelehrt, die keine religiöse Entstehungsgeschichte bisher vermocht hat. Da muss ich Richard Dawkins' Argument recht geben, dass der wegen ihrer "Kälte" gescholtenen Naturwissenschaft durchaus eine gewisse Poesie innewohnt. Ich habe den Umstand, dass wir alle letztlich aus Sternenstaub bestehen, einigen meiner Mitmenschen über die Jahre mitgeteilt. Die häufigste Reaktion war Unglauben oder gar Indifferenz. Naja, das ist mir dennoch viel lieber, als dass Leute deswegen ihr Seelenheil in esoterischer Astrologie suchen.
@Danzig
Als Leküre würde ich dann Alfred North Whitehead empfehlen, weil es in seiner Philsophie um das "Werden" geht (im Gegensatzu zu den sonst bekannteren Philosphien des "Seins") und eher der Naturwissenschaft nahesteht (Whitehead war auch Physiker und Mathematiker).
Selamunaleykum,
eine Anmerkung zu einem Satz:
"[...] - all die Ethik, all die Moral, all die Religion, alles wertlos, wenn keiner aufsteht und NEIN sagt zum Wahnsinn. NEIN zum Hass. NEIN zur Herrschaft mordender, studierter Vollidioten."
Die Beurteilung/Bewertung, wenn....dann wäre Religion wertlos, halte ich für sehr falsch. Genauer: Die Sinnhaftigkeit des Islam an ein wenn-dann Szenario angelehnt zu hinterfragen und damit von Bedingungen abhängig zu machen halte ich für sehr falsch.
Selamunaleykum
Alaykum Salâm & herzlichen Dank für den Hinweis. Ich habe mich an dieser Stelle in der Tat missverständlich ausgedrückt. Gemeint ist der Satz in dem Sinn, dass die Religiosität (bzw. der Anspruch ein moralischer Mensch zu sein) eines Menschen (und natürlich nicht die Religion oder Ethik selbst) ihren Wert verlieren kann oder verliert, wenn sie in entscheidenden Situationen keinen positiven Einfluss auf das Handeln ausübt, also ganz im Sinne von Sure 107:4-7, wo es heißt: "Wehe nun den Betenden, denjenigen, die auf ihre Gebete nicht achten, denjenigen, die dabei (nur) gesehen werden wollen; und die Hilfeleistung verweigern." Die der Religion bzw. dem Islam innewohnende Wert ist selbstverständlich völlig unabhängig von dem, was die Menschen daraus machen. Ebenso kann es ganz andere Ursachen haben, wenn ein Mensch nicht positiv handelt, als dass seine Religiosität oder Moral nicht mehr intakt ist. Ich bin für solche Hinweise dankbar - und sollte mehr auf meine Wortwahl achten, wenn ich mich in Rage schrebe... :)
"Wir machen uns zum Komplizen einer düsteren Welt, und es ist uns scheißegal in einem geradezu kosmischen Ausmaß - "
Das ist eine perfekte Definition für den Nihilismus.
Den verorte ich heute dort, wo der Glaube besonders heftig an seiner vermeintlichen Ehrenrettung arbeitet.
"Wir sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems." Das mögen sich die Eiferer dieser Erde täglich vorbeten.Wir anderen, denen die Verteidigung des Glaubens nicht den Verstand raubt, können derweil über den Missbrauch des Blasphemiebegriffs nachdenken.
Ich verstehe nicht ganz, inwieweit dies eine Replik auf meinen Text sein soll, bzw. wer hier "die einen" und "wir anderen" sind, und wo Sie mich dabei verorten. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen: Ging es in meinem Text um Blasphemie, oder die Verteidiung des Glaubens? Wenn es mir um die aktuellen "Debatte" ginge, würde ich dies klar und in Form eines analytischen Textes schreiben (kommt vielleicht noch). Obiger Essay wurde wenige Tage bevor der Irrsinn mit und umd das Video losging verfasst, wie Sie leicht überprüfen können. Und ja: Wir alle sind ein Teil globaler Probleme, die wir uns schönreden und deren Ursache wir immer woanders als bei uns selbst verorten - wir alle, die wir in großartigem Wohlstand leben und uns jeden Tag etwas mehr mitverantwortlich machen für die grassierende Ungerechtigkeiten auf dieser Erde. Verantwortung wächst mit Macht und den Möglichkeiten, die man hat. Und diese haben wir (gesamtgesellschaftlich gedacht). Die Videodebatte hingegen ist bzw. war an fast allen Fronten eine einzige große Ausrede um den eigentlichen und selbst zu verantwortenden Missständen abzulenken. Hier ein älterer Text von mir zum Umgang mit Beleidigern, weil es passt:
http://andalusian.de/index.php/blog-kategorien/item/koranische-hinweise-zum-umgang-mit-provokateuren
Es ging nur um das, was gerade assoziativ sich zu Ihrem Text gesellte, der aus aktuellem Anlass von mir etwas umgedeutet wurde.Schlagen Sie sich nicht zu lange damit herum.