Die Kinder des Korans 1: Vom Anfang aller Dinge
am Samstag, 25 Dezember 2010. Geschrieben in Identität, Integration, Islam, Koran
Der Koran ist das heilige Buch des Islams. Und sein Studium ist eine äußerst lohnenswerte Sache. Als ich als Schüler eines Tages über mein Taschengeld hinaus Geld für einige neue C64-Monatsmagazine benötigte, unterbreitete ich meinem Vater einen perfiden Deal: Ich bot ihm an den Ayat-al Kursi, das ist der Thronvers des Korans, auf arabisch auswendig zu lernen – wenn ich dafür mit einer irdischen Belohnung seinerseits rechnen durfte. Etwas verwirrt sagte er zu, und nach zwei Stunden konnte ich den relativ langen Vers auswendig. Überhaupt memorierte ich auch sonst die Suren, die man für verschiedenste Gebete benötigte, am liebsten daheim in Eigenarbeit – und für gewöhnlich ohne irdische Entlohnungen. Wenn man viele Suren im Original auswendig konnte, dann erlangte man nicht nur die Anerkennung der Erwachsenen, sondern auch das Wohlgefallen Gottes.
Doch es ging mir noch um etwas anderes. Irgendwann hatte ich entdeckt, dass die Suren eine unglaubliche atmosphärische Dichte besaßen. Obwohl ich kein Wort Arabisch verstand, meinte ich im Moment der Rezitation fühlen zu können, wie der Koran von den Geheimnissen der Welt, vom Anfang aller Dinge und von einem Reich unvorstellbarer Schönheit erzählt. Dieser Genuss verzauberte. Aber er hatte einen Haken: Mit der eigentlichen Bedeutung des heiligen Buches kam ich so trotz zunehmender Neugier praktisch nie in Berührung. Auch die türkische Übersetzung im höchsten Regal unseres Wohnzimmers war für mich als ausgehender Grundschüler, der nur Alltags-Türkisch verstand, schlichtweg unverdaulich.
Doch zu meinem großen Glück hatten wir eine Klassenlehrerin, die vom Schicksal auserkoren schien mich in die Geheimnisse der heiligen Schrift des Islams einzuweihen. Die leicht bäuerlich gekleidete Mittfünfzigerin hatte nie einen Hehl aus ihrer Abneigung gegen alles Türkische gemacht. Eines besonderen Tages sollte es ohne ersichtlichen Grund um den Koran gehen. Mit der Bibel wollte sie ihn vergleichen. Gespannt wartete ich auf die Koranstellen, die sie uns versprochen hatte. Was da wohl stand? Allah als barmherziger Schöpfer der Welt, Muhammad als sein Diener und Gesandter? Das islamische Gebot des Einsatzes für die Armen, oder irgendein anderer göttlicher Weisheitsfunke von Jenseits der sieben Himmel?
Denkste! Hier wurde Tacheles geredet: „Heiratet, was euch an Frauen beliebt: zwei, drei oder vier“, ein Vers aus dem Koran – ätsch! Dem folgten weitere verwirrende Zitate. Vielleicht brachte ich noch ein „Sowas steht nicht im Koran!“ hervor, oder auch nicht. Jedenfalls fühlte ich mich, als hätte man mir vor der Klasse die Hosen runtergezogen. Wie ich später zu meiner Verwunderung feststellte, standen diese Verse so oder so ähnlich tatsächlich in den Koranübersetzungen. Doch das war erst der Anfang: Unter kritischen Zeitgenossen schien geradezu ein Wettstreit um die Suche nach dem brutalsten, frauenfeindlichsten und empörendsten Koranvers entbrannt zu sein – auf diese versuchten jene alles Übel in der islamischen Welt und in Migrationsdeutschland zurückzuführen.
(Fortsetzung: Die Kinder des Korans 2)
- Allgemeines
- Arif
- Bildung
- Christentum
- Denker
- Erziehung
- Fundamentalismus
- Geisterstunde
- Geschlechter
- Identität
- Inspirationen
- Integration
- Islam
- Islamkritik
- Islamisches Leben
- Islamisches Recht
- Judentum
- Koran
- Koranische Kosmologie
- Kunst
- Kurzgeschichte
- Menschenrechte
- Musik
- Philosophie
- Sinn des Lebens
- Terrorismus
- Theologie
- Türkçe
- Türkei
- Türken
- Weltpolitik
- Wissenschaft
Kommentare (0)